In meiner Rolle als Modern Work Consultant bewege ich mich in einer Welt, in der vieles technisch, strukturell oder methodisch gedacht wird. Und trotzdem – oder gerade deshalb – begegnen mir immer wieder Begriffe, die im Raum stehen, ohne klar umrissen zu sein: Agilität, New Work, Kulturwandel.
Solche Begriffe erinnern mich an den "Fog of War" aus Strategiespielen: Nur jene Teile des Spielfelds sind sichtbar, die durch eigene Einheiten erkundet wurden – der Rest bleibt im Dunkeln. Was dort liegt, ist ungewiss – und trotzdem treffen wir Entscheidungen. Jeder sieht nur einen Teil des Ganzen – und handelt entsprechend.
Genauso verhalten sich viele Begriffe in Veränderungsprozessen: Sie zeigen einen Ausschnitt der Realität, eröffnen Orientierung – und lassen gleichzeitig Raum für unterschiedliche Interpretationen.
Agilität
New Work
Kulturwandel
Transformation
Purpose
Sinnstiftung: Sie schaffen einen gemeinsamen Referenzrahmen Jeder kann sich darin verorten. Der Begriff wirkt wie eine offene Projektionsfläche.
Konsensbildung: Weil sie mehrdeutig sind, können viele Menschen zustimmen, obwohl sie Unterschiedliches meinen.
Flexibilität: Unscharfe Begriffe lassen Raum für Entwicklung. Sie engen nicht ein, sondern laden zur Exploration ein.
Schutzfunktion: In Beratungsprozessen kann Unschärfe helfen, schwierige Wahrheiten indirekt anzusprechen, ohne Schuldzuweisungen zu erzeugen.
Unscharfe Begriffe sind nicht per se gut oder schlecht – sie sind ein Werkzeug. Wie jedes Werkzeug entfalten sie ihre Wirkung je nach Kontext und Anwendung. Hier ein Überblick:
Handlungsfähigkeit trotz Unklarheit:
Wie bei der Weick-Anekdote ermöglichen vage Begriffe Orientierung, auch wenn der Weg noch unklar ist.
Gemeinsame Sprache schaffen:
Unscharfe Begriffe ermöglichen es, verschiedene Perspektiven unter einem Dach zu vereinen.
Partizipation fördern:
Weil die Begriffe nicht final definiert sind, laden sie zur aktiven Mitgestaltung ein.
Schutzraum für Konfliktthemen:
Vage Sprache kann heikle Themen adressieren, ohne dass sofort Eskalation entsteht.
Bullshit-Bingo-Gefahr:
Werden Begriffe zur inhaltsleeren Floskel, entsteht Zynismus. Die "agile Ausrede" ist ein bekanntes Beispiel.
Scheinkonsens:
Wenn alle unter einem Begriff etwas anderes verstehen, aber keiner nachfragt, entsteht stille Verwirrung.
Machtverschleierung:
Unscharfe Begriffe können Machtverhältnisse tarnen oder unangenehme Wahrheiten überdecken.
Umsetzungsarmut:
Wer ewig im Nebel bleibt, kommt nie zum konkreten Handeln. Dann wird "New Work" zur Dekoration.
Ich selbst schätze klare Begriffe. Ich bin überzeugt: Wer Wandel gestalten will, sollte wissen, worüber gesprochen wird. Was ist genau gemeint, wenn wir von "Modernem Arbeiten" sprechen? Wie genau funktioniert die Technologie dahinter? Welchen (Arbeits-)Prozess verlangt die Software idealerweise?
In der Praxis stosse ich dabei immer wieder an Grenzen. Nicht jeder Begriff lässt sich zu Beginn eines Prozesses sauber schärfen. Manchmal braucht es Zeit – und den Mut, das Ungefähre auszuhalten. Zum Beispiel, wenn der komplexe Funktionsumfang einer Software ihren eigentlichen Zweck zu überlagern droht. In solchen Situationen lerne ich, mit der Unschärfe zu arbeiten. Ich beobachte, wie sich Bedeutungen im Laufe einer Zusammenarbeit verändern, schärfen oder bewusst neu fassen lassen. Gerade in iterativen Beratungsprozessen entsteht so Schritt für Schritt eine gemeinsame, tragfähige Sprache.
Diese Ambivalenz gehört zu meinem Alltag: zwischen dem Impuls, Begriffe zu klären – und der Einsicht, dass manche Klarheit erst reifen muss.
Unscharfe Begriffe sind kein Problem, sondern das Potenzial für echte Veränderung, sofern wir sie klug nutzen.
Gerade weil sie so viel Projektionsfläche bieten, braucht es oft eine externe Perspektive: jemanden, der Raum für echten Dialog schafft, Bedeutungen klärt, blinde Flecken sichtbar macht – und hilft, das unbekannte Terrain unter dem "Fog of War" nach und nach gemeinsam zu entdecken.