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15. Juli 2025

Unscharfe Begriffe: Warum Buzzwords wie „agil“ oder „New Work“ mehr Orientierung geben, als wir denken.

Was bedeutet eigentlich Kulturwandel? Oder "agil"? Oder "New Work"? Diese Begriffe tauchen in Meetings auf, stehen in Strategiepapiere – und werden genauso oft belächelt. „Wir arbeiten halt agil“, sagen manche, wenn’s an Klarheit fehlt. Doch gerade weil solche Begriffe unscharf sind, können sie erstaunlich wirksam sein. Wie man sie bewusst nutzt, statt sich hinter ihnen zu verstecken, zeigt dieser Beitrag.

Arbeiten im Nebel: Warum unscharfe Begriffe in der Organisationsberatung so wirksam sind

In meiner Rolle als Modern Work Consultant bewege ich mich in einer Welt, in der vieles technisch, strukturell oder methodisch gedacht wird. Und trotzdem – oder gerade deshalb – begegnen mir immer wieder Begriffe, die im Raum stehen, ohne klar umrissen zu sein: Agilität, New Work, Kulturwandel.

Solche Begriffe erinnern mich an den "Fog of War" aus Strategiespielen: Nur jene Teile des Spielfelds sind sichtbar, die durch eigene Einheiten erkundet wurden – der Rest bleibt im Dunkeln. Was dort liegt, ist ungewiss – und trotzdem treffen wir Entscheidungen. Jeder sieht nur einen Teil des Ganzen – und handelt entsprechend.

Genauso verhalten sich viele Begriffe in Veränderungsprozessen: Sie zeigen einen Ausschnitt der Realität, eröffnen Orientierung – und lassen gleichzeitig Raum für unterschiedliche Interpretationen.

Was heisst „unscharf“?

Ein unscharfer Begriff ist einer, der nicht eindeutig definiert ist. "Agil" zum Beispiel kann Prozesse meinen, eine Haltung, eine Organisationsform, eine Methode, oder einfach nur "modern". Solche Begriffe sind polysem – sie lassen mehrere Bedeutungen zu – und das macht sie im Wandel so relevant.

Die Karte, die nicht stimmt – und doch hilft

Der Organisationspsychologe Karl Weick erzählte folgende Anekdote: Eine Truppe Soldaten verirrt sich in den Alpen. In ihrer Not finden sie eine alte Karte. Sie orientieren sich daran – und schaffen es tatsächlich zurück. Später stellt sich heraus: Die Karte war für ein anderes Gebirge. Trotzdem hat sie geholfen, weil sie Handlungsfähigkeit ermöglichte. Genau das leisten unscharfe Begriffe: Sie geben Orientierung, auch wenn sie inhaltlich nicht exakt sind. Sie stiften Sinn, wo Komplexität und Unsicherheit herrschen.


Quelle: (Weick, Karl E. (1985). “Sources of Order in Underorganized Systems: Themes in Recent Organizational Theory". S.132

Was unscharfe Begriffe leisten können

Typische unscharfe Begriffe:

  1. Agilität

  2. New Work

  3. Kulturwandel

  4. Transformation

  5. Purpose

Diese Begriffe erfüllen in Organisationen mehrere Funktionen:

  • Sinnstiftung: Sie schaffen einen gemeinsamen Referenzrahmen Jeder kann sich darin verorten. Der Begriff wirkt wie eine offene Projektionsfläche.

  • Konsensbildung: Weil sie mehrdeutig sind, können viele Menschen zustimmen, obwohl sie Unterschiedliches meinen.

  • Flexibilität: Unscharfe Begriffe lassen Raum für Entwicklung. Sie engen nicht ein, sondern laden zur Exploration ein.

  • Schutzfunktion: In Beratungsprozessen kann Unschärfe helfen, schwierige Wahrheiten indirekt anzusprechen, ohne Schuldzuweisungen zu erzeugen.

Chancen und Risiken im Umgang mit Unschärfe

Unscharfe Begriffe sind nicht per se gut oder schlecht – sie sind ein Werkzeug. Wie jedes Werkzeug entfalten sie ihre Wirkung je nach Kontext und Anwendung. Hier ein Überblick:

Chancen:

  • Handlungsfähigkeit trotz Unklarheit:
    Wie bei der Weick-Anekdote ermöglichen vage Begriffe Orientierung, auch wenn der Weg noch unklar ist.

  • Gemeinsame Sprache schaffen:
    Unscharfe Begriffe ermöglichen es, verschiedene Perspektiven unter einem Dach zu vereinen.

  • Partizipation fördern:
    Weil die Begriffe nicht final definiert sind, laden sie zur aktiven Mitgestaltung ein.

  • Schutzraum für Konfliktthemen:
    Vage Sprache kann heikle Themen adressieren, ohne dass sofort Eskalation entsteht.

Risiken:

  • Bullshit-Bingo-Gefahr:
    Werden Begriffe zur inhaltsleeren Floskel, entsteht Zynismus. Die "agile Ausrede" ist ein bekanntes Beispiel.

  • Scheinkonsens:
    Wenn alle unter einem Begriff etwas anderes verstehen, aber keiner nachfragt, entsteht stille Verwirrung.

  • Machtverschleierung:
    Unscharfe Begriffe können Machtverhältnisse tarnen oder unangenehme Wahrheiten überdecken.

  • Umsetzungsarmut:
    Wer ewig im Nebel bleibt, kommt nie zum konkreten Handeln. Dann wird "New Work" zur Dekoration.

Der Umgang mit solchen Begriffen verlangt also ein hohes Mass an Dialogfähigkeit und Reflexion. Und genau hier kommt Beratung ins Spiel.

Simon Tiefenauer

Umgang mit Unschärfe: Klarheit braucht Zeit

Ich selbst schätze klare Begriffe. Ich bin überzeugt: Wer Wandel gestalten will, sollte wissen, worüber gesprochen wird. Was ist genau gemeint, wenn wir von "Modernem Arbeiten" sprechen? Wie genau funktioniert die Technologie dahinter? Welchen (Arbeits-)Prozess verlangt die Software idealerweise?

In der Praxis stosse ich dabei immer wieder an Grenzen. Nicht jeder Begriff lässt sich zu Beginn eines Prozesses sauber schärfen. Manchmal braucht es Zeit – und den Mut, das Ungefähre auszuhalten. Zum Beispiel, wenn der komplexe Funktionsumfang einer Software ihren eigentlichen Zweck zu überlagern droht. In solchen Situationen lerne ich, mit der Unschärfe zu arbeiten. Ich beobachte, wie sich Bedeutungen im Laufe einer Zusammenarbeit verändern, schärfen oder bewusst neu fassen lassen. Gerade in iterativen Beratungsprozessen entsteht so Schritt für Schritt eine gemeinsame, tragfähige Sprache.

Diese Ambivalenz gehört zu meinem Alltag: zwischen dem Impuls, Begriffe zu klären – und der Einsicht, dass manche Klarheit erst reifen muss.

Fazit: Externe Perspektive hilft beim Navigieren

Unscharfe Begriffe sind kein Problem, sondern das Potenzial für echte Veränderung, sofern wir sie klug nutzen.

Gerade weil sie so viel Projektionsfläche bieten, braucht es oft eine externe Perspektive: jemanden, der Raum für echten Dialog schafft, Bedeutungen klärt, blinde Flecken sichtbar macht – und hilft, das unbekannte Terrain unter dem "Fog of War" nach und nach gemeinsam zu entdecken.

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